Luftdicht Teil 3 German Language
respect - Luftdicht. Teil 3 (German Language)
Author: respect
Title: Luftdicht. Teil 3 (German Language)
Date: 21 December 2019
Ein paar Wochen nach der Begegung mit den marschierenden Gummimännern war Mauro einem einzelnen Soldaten in der gleichen Uniform begegnet. Der Mann hatte mitten auf einem Platz im Stadtzentrum gestanden. Er war dort in strenger Habachtstellung auf einem kleinen niedrigen Eisenpodest platziert worden und musste nun bewegungslos in der Sonne strammstehen. Natürlich in seiner vollen Uniform aus solidem olivgrünem Gummi. In schwarzen Springerstiefeln aus Gummi, mit festgezurrter Gummikrawatte, in schwarzen Gummihandschuhen und mit einer steifen Schirmmütze aus Gummi auf dem Kopf.
Mauro hatte den Soldaten einige Zeit beobachtet. Obohl er unübersehbar mitten auf dem Platz stand, hatten die meisten Passanten nicht viel Notiz von dem unbeweglichen Mann genommen. Sie waren einfach an ihm vorbei gelaufen und hatten ihn kaum mehr als eines kurzen Blicks gewürdigt. Als wäre es ganz normal, dass dort ein kräftiger junger Soldat in einer soliden Gummimontur herumstand und geduldig unter seiner luftdichten Uniform in der Sonne briet. Nur gelegentlich blieb ein Passant stehen, musterte den Soldaten kurz, und ging dann weiter.
Mauro hatte daraus geschlossen, dass der Uniformierte regelmäßig hier stand, so das sich die Menschen schon an seinen Anblick gewöhnt hatten. Stand der etwa jeden Tag so da? Und wie lange musste er wohl jeweils so stehenbleiben? Wie viele Stunden lang konnte ein gut gedrillter Soldat eigentlich strammstehen, ohne abgelöst zu werden? Vor allem, wenn er dabei mit der Hitze in einer dicken Gummiuniform klarkommen musste?
Irgendwann hatte eine Gruppe von Jugendlichen den Soldaten entdeckt. Sie waren direkt auf ihn zugegangen und hatten den Mann in der seltsamen Uniform angesprochen. Er hatte nicht reagiert, sondern nur stumm und unbeweglich geradeaus gesehen. Die Jugendlichen hatten ihn eine Weile von oben bis unten neugierig betrachtet. Dann hatten sie angefangen, grinsend seine Uniform zu kommentieren. Als sie begriffen, dass der Soldat sich wirklich nicht bewegen und nicht sprechen durfte, hatten sich einige sogar getraut, ihn anzufassen. Der Gummisoldat war weiterhin völlig bewegungslos in seiner aufrechten, angespannten Haltung stehengeblieben, den Blick geradeaus ins Leere gerichtet, während die Jugendlichen ihn eng umringten und lachend seine glatte, von der Sonne aufgeheizte Uniform befühlten. Auch als die Jugendlichen ihre Handys herausholten und anfingen, Fotos von ihm zu machen, hatte er keine Miene verzogen. Nicht die kleinste Regung war zu sehen gewesen, nicht einmal mit einem gummierten Finger.
Als die Jugendlichen endlich von dem armen Soldaten abgelassen hatten, war Mauro zu ihm gegangen, um sich die Uniform näher anzusehen. Die ganze Situation war ihm irgendwie surreal erschienen. Eine Gummiuniform. Bei diesem Klima. Was für eine Idee! Es musste wirklich grässlich sein, von den Stiefeln bis zum Kragen in diesem schrecklichen Material zu stecken und nicht rauszudürfen. Allerdings hatte Mauro zugeben müssen, dass diese Uniform gerade wegen ihrer Strenge, des engen Schnittes und des soliden Materials wirklich beeindruckend aussah. Der angespannte, gut trainierte Körper des Mannes hatte sich deutlich unter dem enganliegenden Gummi abgezeichnet. Der kräftige, muskulöse Mann, der so geduldig in seiner polierten Montur strammstand, hatte das Bild eines perfekt disziplinierten Soldaten abgegeben.
Dann hatte Mauro entdeckt, dass der rechte Stiefel des Mannes in eine breite, massive Fußschelle aus schwarzem Eisen geschlossen war. Daran war eine dicke schwarze Eisenkette befestigt, etwa einen halben Meter lang. Das andere Ende dieser Kette hatte man an einen soliden eisernen Halbring geschlossen, der am hinteren Rand des Metallpodests angeschmiedet war.
Die hatten den Mann auf seinem Posten festgekettet!
Wieder hatte Mauro eine Mischung aus Mitleid und Bewunderung gespürt. Der Soldat konnte da nicht weg! Er musste sich in seiner dicken Uniform in der prallen Sonne braten lassen, hermetisch eingummiert, angekettet, bewegungslos wie eine Statue aus poliertem Gummi. Keine Chance, seinen Posten zu verlassen, bis man ihn wieder losketten würde. Keine Möglichkeit, der gleißenden Sonne auszuweichen.
Es musste schrecklich sein, stundenlang bewegungslos so dazustehen, hatte Mauro gedacht. Jeder andere würde bestimmt schon nach kurzer Zeit verzweifelt versuchen, sich irgendwie von der Kette loszureißen und so schnell wie möglich aus dieser absurden schweißtreibenden Montur herauszukommen. Wieviel Training brauchte es, damit ein Soldat so diszipliniert in dieser schwer erträglichen Situation ausharrte? Wie dressierte man einen Soldaten dazu, das ohne Murren auszuhalten?
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Obwohl sie ziemlich beeindruckend gewesen waren, hatte Mauro diese beiden Szenen total vergessen. Aber jetzt, wo er statt der erwarteten kurzärmeligen Drillich-Uniform etliche Kilo festes Gummi in den Händen hielt, fielen sie ihm voller Schrecken wieder ein. Der fest angekettete Soldat. Der Spott seiner Freunde über die Männer in den Gummiuniformen. Und sein Mitleid mit den zwangsgummierten Soldaten, die so stoisch in ihren luftdichten Uniformen in der prallen Sonne marschiert waren.
Und ab heute sollte er einer von ihnen sein? Ein schwitzender, knarrender, zwangsgummierter Soldat? Für 20 Jahre? Sollte er ernsthaft von Kopf bis Fuß in dickem Gummi zum Exerzieren antreten? Mauro konnte es immer noch nicht glauben. Würde er bald selbst in so einer knallengen Gummimontur durch die Stadt marschieren und dabei den Hohn der Zivilisten ertragen müssen? Wollten die ihn wirklich für ganze 20 Jahre in so eine lästige, lächerliche Gummimontur einsperren?
Mauros Vorfreude auf das Leben in der Armee war mit einem Schlag vorbei. Ihm war plötzlich klar, dass er sich mit seinem Antrag auf möglichst harten Drill wohl sehr viel mehr zugemutet hatte, als er eigentlich wollte.